Das Kindeswohl ist beim Aufenthaltsbestimmungsrecht maßgeblich

Kindeswohl Aufenthaltsbestimmungsrecht

Mit der Prüfung des Kindeswohls bei einem Umzug mit der Mutter und der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts musste sich das OLG Frankfurt befassen und kam am 01.08.2024 (Az.: 6 UF 117/24) zu dem Ergebnis, dass die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts dann erforderlich ist, wenn ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils umziehen und dadurch einen völlig neuen Lebensmittelpunkt des Kindes begründen will.

Der Sachverhalt

Die Eltern des vierjährigen Kindes trennen sich sechs Monate nach der Geburt des Kindes. Das Kind lebt seitdem bei der Mutter und deren Großeltern, die die Mutter bei der Betreuung unterstützen. Die Mutter arbeitet in Vollzeit in einem Krankenhaus. Das Kind besucht weder eine Krippe noch versteht oder spricht es die deutsche Sprache.

Der Vater lebt in einer anderen Stadt gemeinsam mit seiner Schwester in einer Wohnung. Seine Mutter und seine Lebensgefährtin leben in der gleichen Stadt wie der Vater, der ebenfalls in Vollzeit arbeitet.

Zum Umgang

Der Umgang wird gerichtlich zunächst so geregelt, dass das Kind in den geraden Wochen an drei Tagen nachmittags beim Vater ist. Der Umgang wird von den Eltern einvernehmlich ausgeweitet, so dass es nunmehr Übernachtungen gibt und das Kind teilweise auch mehrere Wochen beim Vater ist.

Der geplante Umzug

Die Mutter hat eine neue Beziehung und plant, mit dem Sohn zu dem neuen Lebensgefährten zu ziehen. Sie hat dort eine Arbeitsstelle mit guten Aufstiegschancen in Aussicht und für das Kind einen Kindergartenplatz. Ihre Eltern wollen zurück in ihre Heimat ziehen.

Der Vater ist mit dem Umzug seines Sohnes nicht einverstanden und erklärt, dass auch in seiner Stadt ein Kindergartenplatz für das Kind zur Verfügung steht.

Der Antrag des Vaters

Der Vater stellt einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (ABR) für das Kind auf sich. Er begründet diesen damit, dass aufgrund der ausgeweiteten Umgänge eine sehr gute Bindung zwischen ihm und dem Kind bestehe. Er könne die Betreuung auch mit Hilfe seiner Verwandtschaft gewährleisten. Es sei nicht klar, ob die Beziehung der Mutter zu dem neuen Lebensgefährten Bestand habe. Außerdem sei er besser geeignet, das Kind, das schlecht deutsch spricht, zu fördern und hat sich bereits um einen Kindergartenplatz gekümmert. Die Mutter bekäme einen großzügigen Umgang mit dem Kind.

Der Antrag der Mutter

Die Mutter beantragt, den ABR-Antrag des Vaters abzuweisen und stellt ihrerseits einen Antrag, das ABR auf sie zu übertragen. Ihre Gründe: Sie sei die Hauptbezugsperson des Kindes, habe mit ihm schon eine Woche in der neuen Stadt verbracht und war mit dem Kind und dem neuen Lebensgefährten auch schon im Urlaub. Sie könne in der neuen Stadt wieder in Vollzeit arbeiten, weil eine gute Kindergartenbetreuung gewährleistet sei. Der Vater könne die Betreuung aufgrund seines Berufes nicht gewährleisten. Die Mutter sei bereit, dem Vater ein großzügiges Umgangsrecht zu gewähren und sich an den Fahrtkosten zu beteiligen.

Das sagen Verfahrensbeiständin und Jugendamt

Die Verfahrensbeiständin erklärt, dass das Kind bei der Mutter bleiben und mit dieser umziehen solle.

Das Jugendamt hat keine eigene Empfehlung abgegeben.

Die Entscheidung des Amtsgerichts

Das Amtsgericht entscheidet, dem Kindesvater das ABR zu übertragen. Dass die Mutter die Hauptbezugsperson ist, überwiegt nach Auffassung des Gerichts nicht. Der Vater ist eine wichtige Bezugsperson für das Kind, das schon viel Zeit beim Vater verbracht hat und sich dort offensichtlich auch zu Hause fühlt.

Gegen den Verbleib im Haushalt der Mutter spricht, dass das Kind mit dem Wohnortwechsel das gesamte soziale Umfeld verliere. Seine Urgroßeltern zögen weg und das Kind verliere das bekannte häusliche Umfeld und die anderen Bezugspersonen aus dem Umfeld des Vaters. Das kann durch den Aufbau einer Beziehung zu dem neuen Lebensgefährten der Mutter nicht ersetzt werden. Der Vater lasse darüber hinaus die höheren Förderkompetenzen erkennen. So kümmere er sich, anders als die Mutter, um die Möglichkeit, dass das Kind die deutsche Sprache erlerne.

Der Umzug

Nach der Entscheidung des Amtsgerichts zieht das Kind zum Vater um.

Die Beschwerde

Die Mutter legt Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein und begehrt weiterhin, das ABR auf sich zu übertragen. Sie sehe nicht, dass der Vater eine gleichwertige Bezugsperson für das Kind sei. Er sei auch nicht in der Region verwurzelt. Die Familie des Vaters würde auch weiterhin am Leben des Kindes teilhaben können. Sie könne nicht nachvollziehen, wie der Vater die Betreuung aufgrund seiner Arbeit sicherstellen will, da auch seine Mutter in Vollzeit arbeite. Der Vater habe ihr entgegen einer ursprünglichen Planung nur zwei Wochen Umgang in den Sommerferien gewährt, was ihrer Auffassung nach nicht für seine Bindungstoleranz spricht. Außerdem beschreibt sie, dass das Kind bei einer Umgangsübergabe nicht aus dem Auto der Mutter aussteigen wollte und die Situation eskalierte, so dass die Mutter die Polizei gerufen habe.

Der Vater erklärt, dass der Vorfall bei der Übergabe sich anders ereignet und auch er Strafanzeige erstattet habe. Wer letztlich wem Gewalt angetan haben soll, konnte die Polizei nicht feststellen.

Verfahrensbeistand und Jugendamt sprechen sich dafür aus, dass das Kind beim Vater bleibt und regen an, den Umgang aufgrund der immer wieder stattfindenden Auseinandersetzungen und Konflikte zu regeln. Die Mutter weigert sich, an einem lösungsorientierten Gespräch beim Jugendamt teilzunehmen und bei einem Umzug der Mutter hätte sie kein soziales Netzwerk mehr.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt

Das OLG erklärt, dass das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, dass die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts für den Teilbereich des ABR vorliegend nicht in Betracht kommt.

Das Kindeswohl ist entscheidend

Für die Beantwortung der Frage, welcher Elternteil das ABR erhalten soll, ist allein das Kindeswohl entscheidet. Es ist eine positive Kindeswohlprüfung vorzunehmen, bei der vornehmlich die Kriterien der Erziehungsfähigkeit der Eltern, die Bindungen und Beziehungen des Kindes, die Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen und der Kindeswille zu berücksichtigen sind. Jedes Kriterium kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, je nachdem, was dem Kindeswohl am besten entspricht.

Diese Gewichtung der Kindeswohlkriterien des Amtsgerichts beanstandet das OLG nicht.

Ein Wechsel des Kindes in den ihm vertrauten Haushalt des Vaters, in dem das Kind sich routiniert bewegt und sich offensichtlich wohl fühlt, und die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Bezugspersonen der väterlichen Familie schaffen für das Kind bei einem Umzug der Mutter die größtmögliche Kontinuität und Stabilität.

Zwar ist die Mutter die Hauptbezugsperson des Kindes, was nicht außeracht gelassen werden darf. Aber auch der Vater ist eine wichtige Bezugsperson. Und das wiegt hier stärker, da das Kind mit dem Umzug in die neue Stadt nicht nur seine Urgroßeltern als wichtige Bezugspersonen verliert, sondern in eine unbekannte Wohnung ziehen und zu dem Lebensgefährten erst einmal eine Bindung aufbauen muss. Das kann die bereits bestehende Beziehung zu der Mutter und der Schwester des Vaters nicht ersetzen.

Außerdem ist die Bindung des Kindes zu beiden Eltern gleichermaßen stark.

Auch das OLG ist der Auffassung, dass das Förderprinzip für den Vater spricht. Die Mutter habe bislang den Spracherwerb und den Erwerb sozialer Kompetenzen vernachlässigt.

Ferner erkennt das OLG, dass die Arbeitszeiten des Vaters durch die Fremdbetreuung im Kindergarten abgedeckt sind und er auf die Unterstützung seiner Mutter und seiner Schwester zurückgreifen kann.

Unser Fazit

Auch wenn die Mutter viele positive Gründe für ihren Umzug dargelegt hat, beschränkt sich die gerichtliche Prüfung vielmehr auf das Kind und die Beurteilung, wie sich der Umzug auf das Kindeswohl auswirkt. Und das führt zur zu der Entscheidung, dass ein Wechsel des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters dem Kindeswohl mehr entspricht als ein Umzug mit der Mutter. Daher entscheidet auch das OLG, dass das ABR auf den Kindesvater zu übertragen ist.

Hier gibt es die vollständige Entscheidung: Bürgerservice Hessenrecht – 6 UF 117/24 | OLG Frankfurt 6. Senat für Familiensachen | Beschluss | Gewichtung der Kindeswohlkriterien bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf einen …

©Karola Rosenberg