Mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt, das am 1. Juli 2021 in Kraft getreten ist (Bundesgesetzblatt BGBl. Online-Archiv 1949 – 2022 | Bundesanzeiger Verlag), gab es auch einige wichtige Änderungen im familiengerichtlichen Beschwerdeverfahren. Besonders relevant sind die Änderungen in Bezug auf die Anhörung von Kindern.
Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021
Mit diesem Gesetz wurden unter anderem Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB), in der Strafprozessordnung (StPO), im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen (FamFG) und im Jugendgerichtsgesetz (JGG) vorgenommen.
Im FamFG wurde z. B. der § 68 Abs. 4 dahingehend ergänzend, dass „das Beschwerdegericht die persönliche Anhördung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen kann, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Kind.“
159 FamFG enthält darüber hinaus geänderte Regelungen zur persönlichen Anhörung des Kindes.
(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.
(2) Von der persönlichen Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nach Absatz 1 kann das Gericht nur absehen, wenn
- ein schwerwiegender Grund dafür vorliegt,
- das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun,
- die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kin des für die Entscheidung nicht von Bedeutung sind und eine persönliche Anhörung auch nicht aus anderen Gründen angezeigt ist oder
- das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes betrifft und eine persönliche Anhörung nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.“
Ausnahmen hiervon gibt es bei Verfahren nach den § 1666 BGB (gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) und 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Vorrang öffentlicher Hilfen), die die Person des Kindes betreffen. Das Gericht hat sich in diesen Verfahren einen persönlichen Eindruck von dem Kind auch dann zu verschaffen, wenn das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun.
Sieht das Gericht davon ab, das Kind persönlich anzuhören oder sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, ist dies in der Endentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Anhörung oder die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.
(3) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind einen Verfahrensbeistand (§ 158 FamFG) bestellt, soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.
Welche Auswirkung hat der geänderte § 68 Abs. 4 FamFG auf die Anhörung im Beschwerdeverfahren?
Seit dem 1. Juli 2021 erlaubt es das Familiengerichtsgesetz (§ 68 Abs. 4 Satz 2 FamFG), dass ein Kind in einem Beschwerdeverfahren nicht mehr zwingend vor dem gesamten Gericht, sondern nur durch eines der Mitglieder des Spruchkörpers angehört werden kann. Dies kann aus Gründen des Kindeswohls sinnvoll sein und die Belastung für das Kind verringern.
Wann wird nur ein Mitglied des Gerichts das Kind anhören?
Eine Anhörung durch ein einzelnes Mitglied des Gerichts ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Gericht den Eindruck hat, dass diese Vorgehensweise besser dazu geeignet ist, die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes zu verstehen. Vor allem bei jüngeren Kindern, etwa bis zum Ende der Grundschulzeit, wird oft nur ein einzelnes Mitglied des Gerichts das Gespräch führen. Jugendliche ab etwa 14 Jahren können in der Regel durch den gesamten Senat angehört werden, außer in besonders sensiblen Fällen.
Hinweis: Die Anhörung soll immer dem Kindeswohl dienen und die Belastungen so gering wie möglich halten.
Wie läuft eine solche Anhörung ab?
Das Mitglied des Gerichts, das das Kind anhört, wird durch einen speziellen Beschluss des Gerichts bestimmt. Es kann sich dabei um den Vorsitzenden, den Berichterstatter oder ein anderes Mitglied des Senats handeln – je nachdem, wer am besten geeignet ist. Besonders wenn mehrere Kinder an verschiedenen Orten angehört werden müssen, können unterschiedliche Mitglieder des Gerichts für die Anhörungen zuständig sein.
Was bedeutet diese Form der Anhörung für die Entscheidung des Gerichts?
Auch wenn nur ein Mitglied des Gerichts das Kind anhört, wird die endgültige Entscheidung immer vom gesamten Gericht getroffen. Das bedeutet, dass die Meinung und Eindrücke des Richters, der das Kind anhört, nur einen Teil der Entscheidungsgrundlage bilden.
Gibt es eine Möglichkeit, gegen die Auswahl des Richters vorzugehen?
Die Auswahl des Mitglieds des Gerichts, das das Kind anhört, kann nicht separat angefochten werden. Selbst wenn die spätere Entscheidung in der Hauptsache angefochten wird, bleibt die Beauftragung des Richters unberührt. Dies soll sicherstellen, dass das Verfahren zügig und ohne unnötige Verzögerungen fortgesetzt werden kann.
Was passiert, wenn der beauftragte Richter verhindert ist?
Falls der ursprünglich beauftragte Richter verhindert sein sollte, beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen, kann das Gericht ein anderes Mitglied für die Anhörung bestimmen. Diese Entscheidung trifft der Senat, es gibt jedoch keine automatische Vertretungsregelung.
Wie wird die Anhörung dokumentiert?
Der Richter, der das Kind anhört, erstellt anschließend einen sogenannten Anhörungsvermerk. Dieser Bericht dient als wichtige Grundlage für die Entscheidung des Gerichts und wird auch den beteiligten Parteien zur Verfügung gestellt. Zusätzlich kann sich der Senat bei seiner Entscheidung auf den persönlichen Eindruck des beauftragten Richters stützen.
Abschließende Hinweise
- Der Richter, der das Kind anhört, ist für den Ablauf und die Gestaltung der Anhörung frei verantwortlich. Das bedeutet, dass er selbst entscheidet, wo und wie die Anhörung stattfindet und welche Fragen er stellt.
- Eltern und andere Beteiligte sollten beachten, dass die Anhörung des Kindes ausschließlich dazu dient, das Kind zu hören. Ein allgemeines Gespräch mit den Beteiligten findet in diesem Rahmen nicht statt. Es ist jedoch möglich, dass der Richter informelle Gespräche führt, wenn die Beteiligten ebenfalls im Gerichtsgebäude anwesend sind.
Fazit
Die Änderungen im Beschwerdeverfahren sollen sicherstellen, dass Kinder in sensiblen Verfahren besser geschützt werden und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Durch die Möglichkeit, Kinder nur durch ein einzelnes Mitglied des Gerichts anzuhören, wird die emotionale Belastung für die Kinder reduziert, ohne die Qualität der gerichtlichen Entscheidung zu beeinträchtigen.
©Karola Rosenberg