Mit dem Thema „alleiniges Sorgerecht oder Sorgerechtsvollmacht“ musste sich das Oberlandesgericht Bremen im September beschäftigen.
Hintergrund:
Hintergrund war der Antrag des Vaters, ihm das alleinige Sorgerecht für die jetzt 8-jährige Tochter zu übertragen und der Gegenantrag der Mutter, ihr das alleinige Sorgerecht zu übertragen.
Die Eltern waren verheiratet, leben aber zwischenzeitlich getrennt. Die Mutter hat nach ihrem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung zunächst im Rahmen einer einstweiligen Anordnung und im späteren Hauptsacheverfahren durch eine Einigung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter erhalten. Darüber hinaus findet seit einiger Zeit zwischen der Tochter und dem Vater kein Umgang statt, weil die Tochter diesen verweigert.
In dem aktuellen Sorgerechtsverfahren wird durch das erstinstanzliche Amtsgericht ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt, dessen Ergebnis ein Beschluss war, mit dem die gemeinsame Sorge aufgehoben und das alleinige Sorgerecht der Mutter übertragen wird.
Hiergegen wendet sich der Vater nunmehr im Beschwerdeverfahren, in dessen Verlauf er mitteilt, dass es den Eltern mittlerweile durchaus gelingt, per E-Mail z. B. über die Schulwahl für das Kind lösungsorientiert zu kommunizieren, sie also Entscheidungen für das Kind gemeinsam treffen können. Außerdem hält der Vater nunmehr eine Vollmachtslösung für das mildere Mittel – eine Lösung, die beide Elternteile vor dem Amtsgericht noch ablehnten -.
Die Mutter lehnt die Sorgerechtsvollmacht weiterhin ab und möchte, dass der Beschluss des Amtsgerichts aufrechterhalten bleibt.
In der mündlichen Verhandlung erklärt der Rechtsanwalt des Vaters: „Der Kindesvater erteilt hiermit der Kindesmutter die Vollmacht, sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für das Kind umfassend allein auszuüben.“ Die Kindesmutter hält die Vollmachtslösung für ein taktisches Mittel, damit der Vater weiterhin Macht ausüben könne.
Der Kindesvater erteilt die Sorgerechtsvollmacht auch schriftlich. Das Jugendamt erklärt, dass es keine Anhaltspunkte dafür sieht, dass die gemeinsame elterliche Sorge eine Gefährdung für das Kindeswohl darstelle.
Und auch das OLG Bremen gibt dem Kindesvater hier Recht:
Zwar hält es die Entscheidung des Amtsgerichtes grundsätzlich für richtig, weil zu dem Zeitpunkt keine Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft zwischen den Eltern bestand und sie zum damaligen Zeitpunkt eine Vollmachtslösung ablehnten.
Da das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter hat und ein Umgang zwischen dem Vater und dem Kind ebenfalls nicht stattfand, war die Entscheidung des Amtsgericht, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und die elterliche Sorge auf die Mutter zu übertragen, richtig.
Allerdings hat sich die Situation zwischenzeitlich geändert:
Insbesondere hat der Vater der Mutter eine umfangreiche Sorgerechtsvollmacht erteilt. Dadurch werden die Handlungsbefugnisse der Mutter erweitert und sie in die Lage versetzt, in den maßgeblichen Belangen des Kindes alleine zu entscheiden. Somit hat der Vater die Hauptverantwortung auf die Mutter übertragen.
Das Oberlandesgericht entscheidet, dass die Sorgerechtsvollmacht das mildere Mittel gegenüber einer Sorgerechtsübertragung ist. Durch die Vollmacht können Konflikte zwischen den Eltern im Zusammenhang mit den für die Tochter zu treffenden Entscheidungen vermieden werden.
Der von der Mutter erfolgte Einwand, sie hätte die Vollmacht nur als Kopie und nicht im Original, ist nicht relevant, da die Vollmacht keiner besonderen Form bedarf und sie somit auch eine Kopie vorlegen könne. Außerdem habe der Vater der Mutter zwischenzeitlich auch das Original der Vollmacht ausgehändigt.
Auch die Sorge, dass der Vater die Sorgerechtsvollmacht nach dem Ende des Verfahrens zurücknimmt, hält das Oberlandesgericht für nicht begründet. Denn, wenn der Vater die Vollmacht zurücknimmt, verschlechtert er seine Verhandlungsposition und müsste in einem weiteren Sorgerechtsverfahren damit rechnen, dass der Mutter die elterliche Sorge sodann „endgültig“ übertragen wird.
Das Ergebnis des OLG:
Das Gericht hält es aufgrund der sich im Laufe des Verfahrens geänderten Sachlage weder für notwendig noch für gerechtfertigt, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und sie ganz oder teilweise auf die Mutter zu übertragen. Hinsichtlich des Aufenthalts des Kindes bei der Kindesmutter gibt es keinen Streit mehr und im Übrigen ist die Mutter durch die umfangreiche Sorgerechtsvollmacht in der Lage, die Kindesbelange allein wahrzunehmen.
Die Beschwerde des Kindesvaters ist somit erfolgreich, der Beschluss des Amtsgerichts wird aufgehoben und es bleibt bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.
Die gesamte Entscheidung könnt ihr hier nachlesen: OLG Bremen, 07.09.2023 – 5 UF 13/23 – dejure.org
©Karola Rosenberg