Umgangsausschluss verlängert – Der Wille eines 13-jährigen Kindes ist entscheidend

Umgangsausschluss verlängert - Der Wille eines 13-jährigen ist entscheidend

Wann darf der Umgang eines Elternteils mit seinem Kind ausgeschlossen werden? Und wie stark zählt dabei der Wille des Kindes?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss vom 14.06.2024, Az. 17 UF 227/23) – und kommt zu einer klaren, wegweisenden Entscheidung: Der wiederholt und eindeutig geäußerte Wunsch eines 13-jährigen Kindes, keinen Kontakt zu seinem Vater zu wollen, rechtfertigt einen befristeten Umgangsausschluss. Und: Ein solcher Ausschluss darf sogar verlängert werden, wenn erneute Verfahren das Kind weiter belasten würden.

Hintergrund des Falls: Ein langer Weg ohne Kontakt

Der heute 13-jährige Sohn lebt seit der Trennung seiner Eltern im Jahr 2018 bei seiner Mutter. Der letzte tatsächliche Kontakt zum Vater fand Ende 2018 statt. Bereits im Jahr 2020 hatte das Familiengericht den Umgang auf zwei Jahre ausgeschlossen – weil das Kind diesen klar ablehnte. Als das Ende dieses Ausschlusses im März 2022 näher rückte, beantragte die Mutter erneut einen Umgangsausschluss.

Begründung der Mutter: Zwar habe sich der Zustand des Kindes leicht verbessert, doch weiterhin sei sein seelisches Gleichgewicht instabil. Das Kind nehme Medikamente gegen Aggressionen und zur Stabilisierung seines Verhaltens. Sie befürchte, dass Umgangskontakte diesen Fortschritt gefährden könnten.

Der Vater hingegen wollte den Kontakt wieder aufbauen – zunächst im Rahmen begleiteter Umgänge, später auch unbegleitet.

Kindeswille im Wandel: Vom „Vielleicht“ zum klaren „Nein“

Im Verfahren wurde der Sohn zunächst angehört. Zu diesem Zeitpunkt war er 12 Jahre alt und erklärte, er könne sich Treffen mit dem Vater „vielleicht“ vorstellen.

Doch nach einem begleiteten Treffen mit dem Vater im Beisein eines Sachverständigen änderte der Junge seine Meinung deutlich: Er wolle keinen Kontakt mehr. Er fühle sich unwohl, habe Angst und sei sicher, dass ihm die Umgänge nicht guttäten.

Der Sachverständige schloss sich dieser Einschätzung an. In seinem Gutachten riet er, den Umgang mindestens bis zum 14. Lebensjahr auszusetzen. Nur so könne dem Kind ermöglicht werden, später selbst und unbelastet zu entscheiden, ob es Kontakt möchte.

Gerichtliche Bewertung: Kindeswille, Kindeswohl und Verhältnismäßigkeit

Das Amtsgericht folgte dieser Einschätzung zunächst und schloss den Umgang bis März 2025 aus. Der Vater legte Beschwerde ein. Seine Argumente: Das Kind sei beeinflusst worden, insbesondere von der Mutter. Es sei nicht auszuschließen, dass die Ablehnung nicht aus freiem Willen erfolgt sei.

Doch das OLG Stuttgart weist die Beschwerde zurück. In seiner Entscheidung betont es:

  • Kindeswille mit Gewicht: Mit zunehmendem Alter ist der Wille eines Kindes ernst zu nehmen – insbesondere, wenn er wiederholt und stabil geäußert wird. Ein 13-jähriger kann sehr wohl selbst entscheiden, ob er Kontakt zu einem Elternteil will oder nicht.
  • Kindeswohl als oberstes Gebot: Auch wenn das Umgangsrecht des Elternteils grundrechtlich geschützt ist (Art. 6 Abs. 2 GG), darf es eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn eine Gefahr für die seelische oder körperliche Entwicklung des Kindes besteht.
  • Vermeidung weiterer Belastung: Das OLG betont, dass ein erneutes Umgangsverfahren – mit Anhörungen, Begutachtungen und gerichtlichen Entscheidungen – eine erhebliche psychische Belastung für das Kind darstellen würde. Daher sei eine Verlängerung des Umgangsausschlusses bis März 2027 angemessen und verhältnismäßig.

Manipulation oder Selbstbestimmung? Was das Gericht dazu sagt

Das Argument des Vaters, das Kind sei manipuliert worden, ließ das Gericht nicht gelten. Zwar sei nie völlig auszuschließen, dass ein Elternteil Einfluss auf die Meinungsbildung eines Kindes nimmt – doch das ändere nichts an der rechtlichen Bewertung. Entscheidend sei, dass der Wille des Kindes authentisch, stabil und nachvollziehbar begründet war.

Selbst wenn die Mutter dem Sohn von einem Umgang abgeraten hätte, ändere das nichts an der Tatsache, dass der Junge in mehreren Anhörungen und gegenüber dem Gutachter deutlich gemacht habe, dass er keine Kontakte wünsche. Und das sei zu respektieren.

Rechtliche Einordnung: Was sagt das Gesetz zum Umgangsausschluss?

Nach § 1684 Abs. 4 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Dabei gilt: Ein kompletter Ausschluss darf nur erfolgen, wenn anderenfalls eine Kindeswohlgefährdung droht.

Das Bundesverfassungsgericht (FamRZ 2015, 1093) hat hierzu bereits klargestellt: Ein gegen den ernsthaften Willen eines Kindes erzwungener Umgang kann das Kind in seinem Selbstwert, seiner Autonomie und seinem Sicherheitsempfinden erheblich beeinträchtigen – und damit mehr schaden als nutzen.

Fazit: Der Wille des Kindes ist entscheidend – und das Kindeswohl steht an erster Stelle

Diese Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt, wie wichtig es ist, den Wunsch eines Kindes im Umgangsverfahren ernst zu nehmen. Mit zunehmendem Alter gewinnt der Kindeswille an Bedeutung – und darf nicht leichtfertig übergangen werden.

Für betroffene Eltern bedeutet das:

  • Auch ein grundrechtlich geschütztes Umgangsrecht findet seine Grenze im Kindeswohl.
  • Der Kindeswille kann – und muss – in familiengerichtlichen Verfahren beachtet werden.
  • Gutachterliche Einschätzungen und kindgerechte Anhörungen sind wichtige Bausteine für eine faire und kindzentrierte Entscheidung.

©Karola Rosenberg